Was soll aus den Sonderwelten werden?

Mit Dialogveranstaltung öffnet BODYS Raum zur Diskussion

Mit lautem Donnerknall startete am Abend des 07.06.18 die von BODYS organisierte Dialogveranstaltung „Was soll aus den Sonderwelten werden?“, bei der Vertreter*innnen  aus Wissenschaft und Praxis miteinander in den Dialog traten. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage nach der Notwendigkeit und  Zukunft von Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM), welche vor allem im Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und eines menschenrechtsbasierten Ansatzes als sogenannte „Sonderwelt“ scharf kritisiert werden.

Als Gäste für das Podium waren geladen: Kathrin Völker (Bundesarbeitsgemeinschaft für WfbM), Chico Elmar Goepel (MOBILE e.V.), Prof. Dr. Uwe Becker (EvH RWL) und Nicole Andres (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsfeld Disability Studies).

„Die größte Barriere bleibt die kapitalistische Arbeitswelt“

Vor den rund 80 Besucher*innen hielt Kathrin Völker als Geschäftsführerin der BAG WfbM einen kurzen Einführungsvortrag und stellte sich dann gleich der ersten Frage von Moderatorin Prof. Dr. Theresia Degener (Vorsitzende im UN-Fachausschuss zur UN-BRK; EvH RWL): Sind WfbM inklusiv? Diese Frage, so Völker, ließe sich ihrer Ansicht nach leicht beantworten, denn „Werkstätten machen den Arbeitsmarkt derzeit überhaupt erst inklusiv.“ Und schickte erklärend hinterher: „Die größte Barriere ist und bleibt unsere kapitalistische Arbeitswelt, die nun mal streng an Leistung orientiert ist.“ Anhand einiger Beispiele machte sie deutlich: „Solange diese Arbeitswelt in ihrer jetzigen Form existiert, bleiben Werkstätten unabdingbar.“

Was bedeutet Inklusion in eine Gesellschaft, die umfassend exkludiert? Diese Frage wurde von Prof. Dr. Uwe Becker (Autor von „Die Inklusionslüge“) in die Diskussion eingebracht. Becker betonte ebenfalls, dass es „massive Probleme auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt“, und kritisierte, dass „diese ganzheitliche Perspektive in der Inklusionsdebatte häufig unbeachtet bleibt“.  

„Dort hat man mir nichts zugetraut“

Doch gleichermaßen ist zu fragen: Welche Probleme gibt es in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen? Chico Elmar Goepel berichtete von seinen persönlichen Erfahrungen in einer Werkstatt. Dort habe man ihm nichts zugetraut, vor allem nicht, Kunden zu beraten oder Neues zu lernen. „Das hat mich nach und nach krank gemacht“, schilderte der junge Mann eindrücklich. Den Wechsel von einer Werkstatt zu einer Stelle bei MOBILE e.V. empfände er als großes Glück, denn bei MOBILE habe man ihm „Zeit gelassen, neue Fähigkeiten zu lernen“.

Werkstatt – notwendiger Schutzraum oder Inklusionsbarriere?

WfbM als Barrieren für ein selbstbestimmtes (Arbeits-)Leben ist ein Hauptargument der Abschaffungsbefürworter. Was aber ist mit denjenigen Menschen, die in einer Werkstatt arbeiten möchten? Wird ihre Stimme in den Debatten zur Abschaffung von WfbM gehört? Dieser Frage aus dem Publikum stellte sich Nicole Andres souverän. Auch wenn das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Menschen oberste Priorität habe, bleibe für sie zu hinterfragen, ob die positiv erlebten Bedingungen in einer Werkstatt nicht genauso gut auf dem ersten Arbeitsmarkt realisiert werden können. Anhand ihrer eigenen Biographie machte Andres deutlich, dass WfbM ihrem Inklusionsverständnis immer entgegenstehen werden, denn „solange solche Sonderwelten existieren, kann Inklusion nicht in der Form verwirklicht werden, wie es die UN-BRK vorsieht“.

Alternative Konzepte gesucht

Behinderung im Sinne der UN-BRK und dem ihr zugrundeliegenden menschenrechtlichen Ansatz ist als Teil menschlicher Vielfalt anzuerkennen. Und: Die volle Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft soll verwirklicht werden. Darüber sind sich am Ende der Veranstaltung alle Teilnehmer*innen einig. Wie das gelingen kann, das ist nach wie vor eine Frage alternativer Konzepte.

 

Autorinnen: Nicole Andres, Jessica Baeske

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