“Survival of the fittest” im ersten deutschen Triage-Gesetz? Wirklich?

„Erschütternd geschichtsvergessen und einseitig medizinisch-ökonomisch“, so das Resümee der Leiterin von BODYS, Prof. Dr. Theresia Degener, zur zweistündigen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages zum sogenannten Triage-Gesetz.Die Anhörung fand am 19. Oktober 2022 vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages statt.

Mit dem Gesetzentwurf zum Infektionsschutzgesetz soll der Triage-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden. In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, an dem auch BODYS als Sachverständiger beteiligt war, ging es um die Frage, wie knappe intensivmedizinische Ressourcen in der Pandemie zugeteilt werden sollen, wenn es nicht ausreichend Beatmungsgeräte oder Intensivbetten gibt. Das BVerfG folgte den schwerbehinderten Beschwerdeführer*innen in der Auffassung, dass diese Fragen die Gesetzgeber*innen und nicht die medizinischen Fachverbände zu entscheiden hätten und dass es für diese Situation ein diskriminierungsfreies Gesetz braucht.

„Der nun vorgelegte Gesetzentwurf“, so Prof. Degener, „genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. So führt ein Abstellen auf das Kriterium der ‚aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit‘ zur Benachteiligung behinderter und alter Menschen. Vermeidbar wäre das mit dem Losverfahren. So schwierig die Akzeptanz des Zufallsprinzips bei Entscheidungen über Leben und Tod ist, so klar ist auch, dass es den einzigen Diskriminierungsschutz in Triage-Situationen darstellt, also in solchen Situationen, in denen nicht alle behandelt werden können. Der aufgrund der nationalsozialistischen Euthanasiemorde im deutschen Verfassungsrecht besonders fundamental entwickelte Grundsatz der Lebenswertindifferenz, gebietet nichts Anderes.“ Daran erinnerte Prof. Degener als Sachverständige in der Anhörung.

Doch weder die historische Verantwortung noch die Vorreiterrolle, die Deutschland auf internationaler Bühne mit diesem Gesetz einnehmen wird, wurden in der Anhörung weiter diskutiert. Stattdessen wurde den Vertreter*innen der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Fachverbände der Intensivmedizin breiter Raum für deren Bestreben nach Entkriminalisierung der Ex-post-Triage eingeräumt. Dabei geht es um den Behandlungsabbruch zugunsten von Patient*innen mit höheren Erfolgsaussichten. Welch unerhörte und gerade vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung Deutschlands unerträgliche Folge dies hätte, bringt Prof. Degener auf den Punkt: „Damit würde das Prinzip ‘survival of the fittest’ verabschiedet und in Gesetzesform gegossen.“ Und sie ergänzt: „Es war furchtbar, anzuhören, wie sich die Ärzteschaft im Einklang mit der AfD dafür einsetzte.“ Scharfe Kritik gab es nach der Anhörung deshalb auch von Vertreter*innen von Behindertenverbänden.

 

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