UN-Behindertenrechtskonvention jetzt umsetzen!
Anlässlich des Welttags behinderter Menschen lud der Deutsche Behindertenrat am 1.12.2023 zu einer Veranstaltung ein. Dieses Jahr wurde Deutschland vom UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen geprüft: Wie wurde die UN-BRK bis jetzt in Deutschland umgesetzt? In den Abschließenden Bemerkungen zu der Staatenprüfung spricht der Ausschuss Empfehlungen aus, an welchen Stellen dringender Handlungsbedarf besteht. BODYS-Leiterin Prof. Dr. Theresia Degener war eingeladen, die Abschließenden Bemerkungen in ihrer Bedeutung für die deutsche Politik und Gesetzgebung einzuordnen.
Sondereinrichtungen sind verbotene Diskriminierung behinderter Menschen
In einem kurzen Rückblick auf die Staatenprüfung in Genf erinnerte sie an das bewegende und beschämende Statement von Ausschussmitglied Marcus Schefers, der Berichterstatter für Deutschland war. Die deutsche Gesetzgebung in Bezug auf segregierende Einrichtungen für behinderte Menschen, also Sonderschulen, besondere Wohnformen und Werkstätten, verglich Schefers mit der Doktrin „separate but equal / getrennt aber gleich“, die jahrzehntelang die Rassentrennung in den USA legitimierte. Mit anderen Worten, Sondereinrichtungen sind verbotene Diskriminierung behinderter Menschen! Entsprechend betreffen die vier wichtigsten „Hausaufgaben“, die Deutschland vom UN-Fachausschuss (erneut) aufgegeben wurden: In den Bereichen Wohnen, Bildung und Arbeit braucht es „personenzentrierte Inklusionsstrategien“ für die Umsetzung des Rechts auf Selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft, auf inklusive Bildung und auf inklusive Arbeit. Für das Recht auf Gewaltschutz fordert der Ausschuss von Deutschland eine intersektionale Gewaltschutzstrategie, die auch andere Diskriminierungsrisiken wie Geschlecht und Migrationshintergrund einbezieht.
Keine Menschenrechtsbeschränkungen aufgrund von Beeinträchtigung
Auch in Bereichen, in denen bemerkenswerte Reformen in Rechtsprechung, Gesetzgebung und Praxis in Deutschland stattgefunden haben, wie etwa dem der rechtlichen Betreuung oder der Psychiatriegesetzgebung, beharrt der Ausschuss auf dem Menschenrechtsmodell von Behinderung: Menschenrechte dürfen aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht genommen oder beschränkt werden. Degener erläutert: „Die fremdbestimmte Stellvertretung, die medizinische und andere Zwangsbehandlungen bleiben Menschenrechtsverletzungen im Sinne der UN-BRK.“ Und sie ergänzt, dass ein umfassendes System der unterstützten Entscheidungsfindung in Deutschland noch erarbeitet und politisch und fachlich umgesetzt werden muss.
Abschließende Bemerkungen als Leitlinien für demokratische Prozesse
Die stets wiederkehrende Frage, wie verbindlich die Abschließenden Bemerkungen denn nun für Gesetzgebung und Rechtsprechung seien, beantwortete Degener so – hier stark verkürzt wiedergegeben: Die UN-BRK selbst ist völkerrechtlich bindendes Recht, aber die Abschließenden Bemerkungen des Ausschusses sind so genanntes „weiches Recht“. Deutschland hat also auf nationaler Ebene einen relativ großen Ermessenspielraum in der Umsetzung. Nationales Recht kann internationalem Recht widersprechen und tut dies in der Praxis auch (siehe deutsche Rechtsprechung zu Inklusion in der Bildung). Aus juristischer Perspektive nennt Degener zwei Argumente, die für einen Vorrang der UN-BRK in diesem Fall sprechen: In der UN-BRK sind der Ausschuss, seine Aufgaben sowie die Pflicht zur Zusammenarbeit mit diesem geregelt. Dies hat Deutschland mit der Ratifizierung der UN-BRK anerkannt. Außerdem gilt nach Artikel 26 Wiener Vertragsrechtskonvention, dass Verträge einzuhalten sind.
Das auf gesellschaftlicher Ebene aber sicherlich noch gewichtigere Argument ist aber dieses: „Für Menschenrechtsverträge – wie die UN-BRK - gilt vor allem: Die Umsetzung ist ein rechtsstaatlicher und demokratischer Prozess. Die Rahmenordnung dafür gibt in Deutschland die Verfassung vor, die nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts völkerrechtsfreundlich ist. Menschenrechtsverträge werden als Bundesgesetze Teil der deutschen Rechtsordnung, ihre Umsetzung gebietet das Rechtsstaatsprinzip.“ Hierin liegt also die wesentliche rechtspolitische Wirkung der Abschließenden Bemerkungen: Sie sind Leitlinien für den weiteren rechtsstaatlichen und demokratischen Prozess der Legislative, Judikative und Exekutive in Deutschland. Dazu braucht es einen öffentlichen inklusiven demokratischen Diskurs unter effektiver Partizipation der Selbstvertretungen behinderter Menschen, wie der Ausschuss es in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 7 ausgeführt hat.